Vergleich: Arbeitszeitstruktur Lehrer und Angestellte

Die Arbeitszeit von Lehrer/innen ist für Nicht-Lehrer/innen völlig undurchschaubar: mittags auf dem Tennisplatz, dafür Samstagnacht am Schreibtisch? 12 Wochen Ferien pro Jahr, um 13 Uhr Feierabend - und trotzdem über die Belastung klagen? Eine Veranschaulichung der Problematik, basierend auf einer empirischen Erhebung von Herrn Mess.

Herr Mess, seines Zeichens Lehrer für Latein und Betreiber des Lehrerblogs Herr Mess | Ex libris eines Lateinlehrers, war sich ebenfalls unsicher, wie viel er denn jetzt eigentlich arbeitet. Eine Woche lang hat er seine Arbeitszeit minutiös protokolliert, das Ergebnis findet sich in seinem Beitrag All work and no play.

Zentrale Erkennnis: In der protokollierten Woche hat Herr Mess knapp 60 Stunden gearbeitet; explizit weist er darauf hin, dass diese Woche in einer "Hochzeit" lag, also in einer Häufungsphase von Zeugnissen, Korrekturen usw. Die 60 Stunden sind in keiner Weise repräsentativ (Herr Mess weiß auch: "Klar werden davon auch eingefleischte Kritiker nicht überzeugt sein und fleißig Häme versprühen.").

Der Durchschnittsarbeitnehmer in Deutschland arbeitet pro Jahr ~1645 Stunden, der Lehrer in Deutschland laut OECD ~1793 Stunden pro Jahr (handelsblatt.com); in der Schweiz arbeiten die Lehrer/innen 2072 Stunden pro Jahr (Lehrerfreund).

Besonders interessant an Herrn Mess' Erhebung ist nun nicht nur die pure Anzahl der Arbeitsstunden, sondern die Verteilung der Arbeitszeit über die Woche. In den folgenden Grafiken werden einige gängige Arbeitszeitstrukturmodelle dargestellt. Eine minutengenaue Abbildung wird nicht angestrebt, für die grundsätzliche Veranschaulichung dürften die Grafiken ausreichend genau sein. Auch die Mess'sche Erhebung wurde in ein Stundenraster gepresst und an einigen Stellen entsprechend zünftig gerundet.

a) Arbeitszeitverteilung von Herrn Mess

Am unter All work and no play dokumentierten Selbstversuch zeigt sich, wie Lehrer/innen arbeiten:

Arbeitszeit von Herrn Mess, empirische Eigenerhebung

  • Lehrer/innen haben nie Wochenende. Auffällig ist, dass Herr Mess am Sonntag "nur" vier Stunden arbeitet. Üblicherweise ist Sonntag ja Lehrer/innen-Tag. Dafür hat Herr Mess am Samstag schon ordentlich vorgearbeitet.
  • Lehrer/innen haben meist spät Feierabend. Bei Herrn Mess beginnt der Feierabend unter der Woche um 20 Uhr, den Freitagabend der untersuchten Woche verbrachte er mit Arbeit.

Ganz deutlich zeigt sich auch, dass Lehrer/innen in ihrer Arbeitszeitverteilung sehr flexibel sind. So hätten bspw. die Blöcke am Donnerstag- und Freitagabend beliebig auf den Samstag oder Sonntag verschoben werden können.

b) Arbeitszeitverteilung einer anderen Lehrer/in

Im Vergleich zu anderen Lehrer/innen arbeitet Herr Mess seine Aufgaben relativ früh am Tag ab, z.B. Freitag: "16.30-18.10: Erste Unterrichtsvorbereitung für Montag" oder Montag: "Vorbereitung: 16.00-19.10". Viele Lehrer/innen hätten den Unterricht für Montag nicht am Freitagnachmittag vorbereitet, sondern am Sonntagabend. Die Unterrichtsvorbereitung, die Herr Mess zwischen 16 und 19 Uhr erledigt, hätten viele (unwillig!) am Montag zwischen 20 und 23 Uhr in Angriff genommen.

Die Grafik zeigt eine mögliche Arbeitszeitverteilung einer fiktiven Lehrer/in, die tendenziell abends arbeitet und grundsätzlich "mittags frei hat".

Arbeitszeitstruktur einer Lehrerin, die häufig abends arbeitet

Nun wissen wir auch, woher das Bild von Lehrer/innen in der Öffentlichkeit kommt: Frau Sonstwie wurde am Montag, Mittwoch und Freitag mittags beim Tennisspielen gesehen, am Dienstag sah man sie in der Fußgängerzone beim Shoppen, während sie am Freitag den ganzen Nachmittag ihr Auto reparierte. Die Party ab Samstag 18 Uhr war bei auch nicht zu überhören.

Letztlich sind die Nachbarn davon überzeugt, dass Frau Sonstwie nichts zu arbeiten hat, da sie die ganze Zeit irgendwo rumhängt und sich entspannt. Dabei hat Frau Sonstwie in dieser Woche zusätzlich zu Ihrem Regelunterricht mehr als 40 Zeitstunden zuhause korrigiert, vorbereitet, geschrieben, geschnippselt und jeden Abend der Woche am Schreibtisch verbracht. Das hat kein Mensch mitbekommen.

c) Arbeitszeitverteilung einer Büroangestellten

Betrachten wir eine fiktive Person, die einem geregelten Angestelltenverhältnis nachgeht. Hier könnte die Verteilung ungefähr so aussehen:

Grafik: Mögliche Arbeitszeitstruktur einer angestellten Person

Der Unterschied zur Lehrer/in ist sofort deutlich: Die Arbeitszeit ist wesentlich geregelter, es gibt deutlich definierte Freizeitphasen (Abend/Wochenende), in denen nichts gearbeitet wird.

Wer hat es "besser": Lehrer/innen oder Angestellte?

Hier die beiden Grafiken (Lehrer Mess / fiktive Angestellte/r) im Vergleich.

Vergleich: Arbeitszeit Angestellter / Lehrer

Ob die Lehrer/in nun in einer etwas entspannteren Woche mehr Freizeit hat, die Angestellte freitags schon um 14 Uhr aufhören kann oder einer von beiden tatsächlich 4 Stunden mehr oder weniger arbeitet - das interessiert nicht. Wesentlich ist die grundsätzliche Veranschaulichung der Wochen- und Tagesstruktur (würde man die Grafik auf monatlicher/jährlicher Basis erstellen, sähe es wahrscheinlich ähnlich aus).

Die zerfetzte Tagesstruktur bei der Lehrperson und die absolute Durchgängigkeit der Arbeitsbelastung ist eindeutig anstrengend. Herr Mess hat keinen Tag in der Woche frei. Der Tag, an dem er am wenigsten arbeitet, ist der Sonntag, da sind es ~5 Stunden. Ein solches Leben geht natürlich an die Nerven.

Andererseits ist es auch von unschätzbarem Vorteil, sich die Zeit einteilen zu können. Die Angestellte kann nicht spontan beschließen, die mittwochmittags anfallende Arbeit auf Samstagnacht zu verschieben, weil er gerade Unlust verspürt. Für einen Besuch beim Bürgeramt muss er einen halben Tag Urlaub nehmen.

Fazit

Lehrer/innen und Angestellte außerhalb des schulischen Sektors arbeiten im Jahresmittel ungefähr gleich viel, das hat sich bereits herumgesprochen. Dennoch beschränkt sich die Diskussion um Lehrerarbeitszeit häufig auf genau diesen Punkt.

Meist werden die strukturellen Eigenheiten der Lehrerarbeitszeit übersehen. Für die zahlreichen Burnout-Fälle ist möglicherweise weniger das "Wieviel" als das "Wie" und das "Wann" verantwortlich. Dass die energetischen Belastungen und Befriedigungen der Unterrichtssituation zusätzlich eine gewichtige Rolle spielen, wird an einem anderen Tag diskutiert werden.